Folgende Rede hat unser 3. Bürgermeister Tilo Hemmert an die Versammlung zur Solidarität mit der Ukraine am 04. März 2022 in der Ochsenfurter Altstadt gerichtet:
Liebe Ochsenfurterinnen und Ochsenfurter,
sehr geehrte Damen und Herren,
seit neun Tagen führt Russland Krieg gegen die Ukraine.
Wir haben uns hier versammelt, um ein Zeichen zu setzen
Mit großer Sorge hören wir die Berichte von Angriffen auf zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Wir sehen Videos von brennenden Wohnblocks und zerstörten Städten. Das zeigt, mit welch infamen Lügen und Fake News Putin arbeitet. Er spricht von einer gezielten Militäroperation und sagt, er handle in Notwehr. Aber kein europäisches Land hatte je vor Russland zu attackieren. Stattdessen haben wir monatelang zugesehen, wie Russland rund um die Ukraine gezielt seine Truppen aufgebaut hat. Wir fordern den russischen Staatspräsidenten Putin auf, unverzüglich die Gewaltanwendung gegen die Ukraine einzustellen.
Wir fordern Putin auf, das Militär abzuziehen und die Souveränität der Ukraine anzuerkennen. Wir fordern Putin auf, von jeder weiteren rechtswidrigen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen einen Staat abzusehen. Der Angriffskrieg Russlands stellt auch für uns in Deutschland, in Bayern, in Ochsenfurt eine Zeitwende dar. Wir hatten uns gemütlich eingerichtet, erleben wirtschaftlichen Wohlstand und über 76 Jahre Frieden.
Den Krieg kennen wir fast alle nur aus den Geschichtsbüchern und vielleicht den Erzählungen der Großeltern. Aber wissen wir dadurch wirklich, was es heißt, auf der Flucht oder mitten im Krieg zu sein?
Versuchen wir uns in die Lage der Menschen hineinzuversetzen: „Mein Vater hörte Schreie und ging zur Haustüre, um nachzuschauen. Meine Schwester Franziska wollte ihn zurückhalten. Er ging trotzdem hinaus auf den Hof, in diesem Moment schlug eine Granate in unseren Hof neben unser Hühnerhaus ein. Ein Granatsplitter zerfetzte das linke Knie meines Vaters. Soldaten riefen: ‚Der Bauer ist verletzt!‘ Ich lief auch hinaus, wir trugen ihn herein, er blutete stark. Sanitäter leisteten notdürftig Hilfe, dann brachten wir ihn zum Verbandsplatz im Schloß, er hatte schreckliche Schmerzen.“
Das ist kein Augenzeugenbericht aus der Ukraine, sondern so hat Monika Gerner in Erlach den Ostersonntag am 1. April 1945 erlebt, das Ende des letzten Krieges in unserer Heimat. Die Geschichte könnte sich aber genauso gut, gestern, heute oder morgen in der Ukraine zutragen.
Wir können nur erahnen, welches Leid die Menschen in diesen Stunden in der Ukraine erfahren.
Viele sind auf der Flucht, harren tagelang in eisiger Kälte aus, um ausreisen zu können. Andere bleiben, immer in Angst vor dem nächsten Angriff.
Alle eint die Sorge um das Wohlergehen ihrer Familien in dieser bedrohlichen Lage. Allen Menschen in der Ukraine wollen wir mit unserer Kundgebung heute sagen: Wir sind solidarisch mit Euch. Wir stehen ein für Frieden, Freiheit und Demokratie! In fünf Schlaglichtern will ich aufzuzeigen, was der Angriffskrieg für uns konkret bedeutet.
Ochsenfurt wird Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine Schutz und Unterstützung bieten. Seit dem zweiten Weltkrieg fanden viele Vertriebene und Geflüchtete Aufnahme in unserer Stadt, manche sogar eine neue Heimat.
Wenn Sie helfen wollen, melden Sie sich bitte. Das Landratsamt hat ein zentrales Portal freigeschaltet, über das Wohnraum- und Hilfsangebote von Bürgerinnen und Bürgern aus dem Landkreis Würzburg eingereicht werden können.
Gesucht werden Ehrenamtliche mit Fremdsprachenkenntnissen, insbesondere Englisch, Russisch, Ukrainisch. Hilfe wird voraussichtlich aber auch benötigt bei Beratung und Begleitung im alltäglichen Leben, im erzieherischen Bereich, für Fahrdienste, für handwerkliche und hauswirtschaftliche Tätigkeiten oder zur Sprachförderung.
Zeigen wir uns solidarisch mit den Geflüchteten aus der Ukraine!
Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Bürgerinnen und Bürger in Ochsenfurt zusammenstehen. Unser Protest richtet sich gegen die unkultivierte, geschichtsvergessene russische Staatsführung unter Präsident Putin und nicht gegen das russische Volk, das stolz sein kann auf seine Kultur.
Unsere größte Hochachtung gilt allen, die trotz drohender Gefängnisstrafen in Russland auf die Straße gehen, um gegen diesen Krieg zu protestieren.
In Ochsenfurt leben viele Mitbürgerinnen und Mitbürger mit russischen und ukrainischen Wurzeln. Sie leben und arbeiten mit uns. Sie sind wie wir entsetzt über diesen Krieg und vermutlich noch mehr betroffen.
Wir sind solidarisch mit allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die in Ochsenfurt leben und in Sorge um ihre Heimat und ihre Angehörigen sind.
Der Krieg in der Ukraine wird auch uns einiges abverlangen. Die außenpolitische und wirtschaftliche Isolation Russlands als Konsequenz auf den Angriffskrieg bleibt in einer globalen und vernetzten Welt nicht ohne Nebenwirkungen. Die ersten sehen wir jetzt schon ganz deutlich beim Blick auf die Benzinpreise.
Es war sicher ein Fehler der Vergangenheit, sich energiepolitisch so stark von Russland abhängig zu machen. Alle, die mit Erdgas heizen, blicken mit Sorge in die Zukunft und fragen sich, wie es mit der Versorgungssicherheit in den nächsten Monaten und Jahren aussieht. Die Situation bietet aber auch die Chance jetzt mit aller Kraft die Energiewende voranzubringen. Dabei ist auch die Stadt Ochsenfurt gefordert.
Bei der Fernwärme in Ochsenfurt müssen wir weg vom Gas kommen. Wir brauchen eine eigene nachhaltige Energieerzeugung für die Fernwärme in Ochsenfurt!
Wir müssen uns wieder klar machen, dass unsere Demokratie auch wehrhaft sein muss. Deutschland wird sich immer für friedliche Lösungen von Konflikten einsetzen. Es ist richtig und klug, dass wir uns nicht militärisch in der Ukraine engagieren. Es ist aber genauso richtig, einer frei gewählten Regierung in der Ukraine die notwendigen Waffen zu liefern.
Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr souveränes Land, sondern auch die Demokratie. Wir haben Jahre lang im Irrglauben gelebt, dass es in Europa keinen Krieg mehr geben könne. Der Krieg in Europa ist für uns ein Weckruf, dass wir uns in Deutschland und Europa nicht immer auf den Schutz durch die USA verlassen können, die in den kommenden Jahrzehnten insbesondere mit China um Einfluss ringen werden.
Wir stehen zur NATO und müssen in Zukunft unseren Bündnisverpflichtungen solidarisch nachkommen. Insbesondere für unsere Bündnispartner in den baltischen Staaten ist diese Zusage gerade existentiell wichtig.
Dazu brauchen wir dringend mehr Investitionen in unsere eigene Sicherheit. Wir müssen die Bundeswehr stärken. Dazu gehört selbstverständlich eine gute Ausstattung, aber auch die gesellschaftliche Anerkennung.
Wir brauchen eine starke Bundeswehr, um unsere Demokratie gegen Angriffe von außen zu verteidigen und unsere Sicherheit zu gewährleisten.
Achtet auf Eure Worte, sie sind der Anfang Eurer Taten. Die infamen Lügen Putins, aber auch die Propaganda im Netz zeigen, dass der Krieg heute nicht nur konventionell in Kiew, Charkiw oder Mariupol geführt wird.
Der Informationskrieg findet vor allem im Internet statt. Hass und Hetze werden in den sozialen Medien vielfach geteilt. Filterblasen und Echokammern sorgen dafür, dass User keine abweichenden Meinungen mehr wahrnehmen und sich Fake News mit atemberaubender Geschwindigkeit verbreiten. Vorbildlich verhalten sich aktuell die Medien in Deutschland, die bei jeder Information eindeutig kennzeichnen, wenn sie nicht unabhängig überprüft werden konnte.
Meine große Bitte daher: Teilen Sie in sozialen Medien nur Bilder und Nachrichten, von denen sie überzeugt sind, dass sie wahr sind. Geben Sie Fake News, Hass und Hetze im Netz keine Chance!
Liebe Ochsenfurterinnen und Ochsenfurter,
Meinungsfreiheit, freie Berufswahl, Gleichberechtigung aller Geschlechter, soziale Absicherung, Bewegungsfreiheit, ein Leben in Frieden, sowie ein grenzenloses Europa ist alles andere selbstverständlich.
Der verantwortungslose Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine hat uns das einmal mehr als deutlich gemacht. Auf diese Aggression kann es nur eine Antwort geben: Solidarität mit der Ukraine, die als souveräner Staat das Recht auf Demokratie und Freiheit hat!
Bei aller Angst und Sorge derzeit, stehen wir zusammen. Bleiben Sie zuversichtlich!